Martin Gobbins Berlinale Tagebuch: 3
Wilde Maus
7/10 Punkte
Josef Hader, Österreich 2017
Sektion: Wettbewerb
„Die Zauberflöte ist keine Oper, sondern ein Singspiel“, blafft der Musikkritiker Georg seine junge Kollegin an. Ex-Kollegin besser gesagt, denn Georg ist gerade gefeuert worden, weil er noch einen Altvertrag hat und dadurch deutlich mehr verdient als die zwar ahnungslose, aber eben günstige Kollegin. Seiner Frau Johanna – einer dem Alkohol durchaus verbundenen Psychotherapeutin mit ebenso verspätetem wie verzweifeltem Kinderwunsch – sagt er nichts von der Entlassung. Jeden Morgen macht er sich angeblich auf in die Redaktion, tatsächlich aber fährt er zum Prater und sinnt auf Rache an seinem ehemaligen Chef. Er steigert sich immer mehr in diese Aufgabe hinein und beginnt langsam, seine Fantasien wahrzumachen, was zu aberwitzigen Szenen führt, die Georgs zutiefst bürgerliche Existenz mit mal spätpubertären, mal kriminellen Taten kontrastieren. Josef Hader macht aus seinem Regiedebüt eine lakonische Komödie, die seine typischen, selbstironischen Figuren bruchlos fortsetzt. Je länger der Film aber andauert, desto mehr Ernst entwickelt er in seiner Darstellung von Midlife-Krisen, Beziehungstälern und Selbstzweifeln. „Wilde Maus“ ist eine gut ausgeglichene Mischung aus vielen sehr amüsanten Momenten, allgemeingültigen Problemen mit hohem Identifikationspotenzial und emotionalen Wandlungen. Das ist einerseits mehr als viele andere Berlinale-Beiträge von sich behaupten können und andererseits nicht mehr als unterhaltsames gediegenes Arthouse-Kino: Zu tiefgründig für reines Entertainment, aber leicht genug, um zumindest im Programmkino massentauglich zu sein.
On Body and Soul (Testről és lélekről)
8/10 Punkte
Ildikó Enyedi, Ungarn 2017
Sektion: Wettbewerb
Requiem for Mrs. J (Rekvijem za gospodju J.)
7/10 Punkte
Bojan Vuletic, Serbien 2017
Sektion: Panorama
Skins (Pieles)
6/10 Punkte
Eduardo Casanova, Spanien, 2017
Sektion: Panorama
One Thousand Ropes
5/10 Punkte
Tusi Tamasese, Neuseeland 2016
Sektion: Panorama
Maea ist Bäcker, Geburtshelfer, Ex-Boxer, Gastgeber eines friedlosen Geistes und Beschützer seiner schwangeren, von ihrem Freund misshandelten Tochter. Maea hat es dabei nicht leicht: Knetmaschinen ersetzen ihn zunehmend als Bäcker, er hat Probleme seine Wut und Aggressionen zu kontrollieren, seine Hebammentätigkeit wird vom bösen Hausgeist gestört – und der Geist bedroht zudem seine Tochter, die wiederum überlegt, zu ihrem gewalttätigen Partner zurückzukehren. Regisseur Tusi Tamasese gelingt es nicht, aus diesen fünf Geschichten einen kohärenten Film zu konstruieren. Der Plot ist wirr, weil überladen, und der Film erzählt, ohne dabei etwas zu sagen. Dem Ernst des Dramas kommen immer wieder billige Horrorelemente dazwischen. Dass „One Thousand Ropes“ bei der Berlinale läuft, hat er wohl vor allem der Tatsache zu verdanken, dass sein Regisseur samoanischer Herkunft ist und die Dialoge größtenteils in samoanischer Sprache gehalten sind – schließlich setzt sich das Festival seit Jahren für indigenes Kino ein. Das ist zweifellos ein hehres Unterfangen, nur ist „gut gemeint“ eben nicht immer gleich „gut gemacht“. Und ob dem Ruf des indigenen Kinos mit solch mittelmäßigen Produktionen wirklich gedient ist, bleibt fraglich.
Foto: © WEGA Film